Ganz ehrlich, wir Frauen werden doch schon mit dem positiven Schwangerschaftstest zu Personen des öffentlichen Lebens. Uns an den Pranger zu stellen, uns zu kritisieren und uns ungefragt zu beraten, scheint völlig in Ordnung zu sein oder sogar gesellschaftlich erwünscht zu sein. Tragen und gebären wir doch die Kinder der Gesellschaft. All die Verantwortung auf unseren Schultern. Gerne auch die Schuld, es nimmt sie ja sonst keiner. Danke für gar nix!
Nun ist dies allerdings auch keine neue Erkenntnis, das ist schon klar. Großtante Gerda hatte sicher schon bei unserer Mutter die Weisheit mit den Löffeln gefressen. Unter der Kittelschürze all die schlauen Tipps. Denn aus ihr sei ja auch etwas geworden. Heißt es. Neu ist in unseren Augen allerdings, dass Mütter sich heute zum Teil gegenseitig verurteilen. Das sehen wir mit Schrecken als Mom-Bashing im Internet, aber auch auf dem Spielplatz um die Ecke. Was sind wir schnell im Urteilen. Und noch schneller im Verurteilen.
Da wäre doch direkt mal die Latte Macchiato Mutter. Nie triffst du sie ohne einen Kaffee in ihrem nachhaltigen Bambus Coffee-to-go Becher und den schicken Sneakers. In den schicken Sneakers steht aber vielleicht die Mama, die seit Wochen Nächte des Grauens durchlebt und keine zwei Stunden mehr am Stück schläft. Die morgens kaum noch aufstehen kann und Kaffee vielleicht gerade das einzige ist, was ihr hilft, diese unendlich langen Tage mit Baby durchzustehen.
Direkt daneben die Helikopter Mutter. Die wie eine Glucke um ihr Kleinkind kreist, um es von jeden Gefahren dieser Welt fernzuhalten. Aber kennst du sie wirklich? Weißt du, ob ihr oder ihrem Kind vielleicht mal etwas widerfahren ist, wofür sie sich heute noch Vorwürfe macht?
Gegenüber die bedürfnisorientierte Mutter. Deren Sprössling gerade mit der Schaufel auf den Spielplatzbuddy eindrischt. Anstatt ihm die Schaufel aus der Hand zu reißen, kniet sie sich nieder und beginnt ihren Satz „Ich verstehe, dass du wütend bist…“ während ihr Kleinkind munter weitereinschlägt. Weißt du wirklich, was in ihr vorgeht? Vielleicht ist sie im Herzen auf 180, aber weiß gerade einfach überhaupt nicht, wie sie pädagogisch wertvoll reagieren soll vor der versammelten Müttermafia. Vielleicht hat der Sandkastenbuddy ihrem Sohn vorhin auch mehrfach eine übergehauen und nun freut sie sich einfach nur, dass ihr schüchternes Kind sich endlich traut, sich zu wehren. Weißt du es?
Ein wenig im Hintergrund die Smartphone-Mutter. Ihr Kind wirft mit Freude gerade mit Sand um sich und in anderer Leute Augen. Die Mutter dagegen schaut nur in ihr Smartphone und nimmt von nichts anderem Notiz. Weißt du, was sie da gerade liest? Vielleicht hat gerade ihr Chef geschrieben und sie dringend aufgefordert, diese eine Sache noch unverzüglich für ihn zu erledigen? Vielleicht bestellt sie mal noch eben das Geburtstagsgeschenk für das Geschwisterkind. Vielleicht hängt sie aber auch tatsächlich bei Instagram rum, weil diese zwei Minuten ihre ersten zwei Minuten heute sind, in denen sie einfach nur in Ruhe dasitzen kann.
Neben ihr ein Mombie. Ist sie noch Mutter oder schon ein blutsaugender Zombie, der nur auf das nächste menschliche Wesen wartet, um wieder etwas Farbe im Gesicht zu bekommen? In jedem Fall scheint es sich hierbei um ein sehr schlecht gelauntes Wesen zu halten. Weißt du warum? Vielleicht steht ihre Beziehung gerade kurz vor dem Aus? Und sie wünscht sich vielleicht nichts Sehnlicheres, als dass du dich kurz zu ihr setzt und mit ihr sprichst.
Mitten im Geschehen die Tiger Mutter, die nur ein kurzes Zeitfenster hat für Rutsche, Schaukel & Co. Nach 20 Minuten zieht sie mit ihrem Nachwuchs schon wieder gehetzt von dannen, um pünktlich zum Kunsterricht zu kommen und von dort dann weiter in den Geigenunterricht. Kennst du sie wirklich? Wuchs sie selbst vielleicht in einer Umgebung auf ohne jegliche Förderung? Vielleicht bekniete sie aber auch dieses arme Tigerkind schon seit Monaten, genau diese zwei Hobbys ausüben zu dürfen, die nun leider direkt nacheinander stattfinden…
Wir wissen nicht, wie es euch geht, aber wir scheinen tatsächlich Chamäleons zu sein. Denn wir sind all diese unterschiedlichen Muttertypen. Manchmal können wir uns sogar von einer Minute zur nächsten verwandeln. Und weißt du was? Das ist keine Schwäche. Es ist einfach normal. Es ist authentisch. Niemand behandelt sein Kind immer bedürfnisorientiert, niemand ist immer konsequent. Und vermutlich wird auch niemand den ganzen Tag Latte Macchiato schlürfend in schicken Sneakers durch die Gegend tingeln. Wollen wir nicht einfach ein bisschen netter zueinander sein? Ein bisschen mehr über den Tellerrand schauen, auch wenn es manchmal schwer fällt?
Lasst uns Banden bilden und von der Vielfalt unserer Charaktere leben. Wir haben alle dasselbe Ziel. Denn irgendwann stehen wir doch alle flennend da und winken unseren Kindern hinterher, die doch eben noch ihre warmen Händchen in unsere schoben. Und dann werden wir alle hoffen, dass wir ihnen die nötigen Kraftreserven mitgegeben haben als Proviant für den Anfang. Um da draußen klarzukommen, um zu leben, zu lieben. Und immer wieder mal zu ihren Eltern zurückzukommen. Lasst uns doch wieder ein Dorf sein, unterstützend und wertschätzend.
Vielleicht hilft auch noch dieses Gedankenexperiment hierbei: Was wäre eigentlich, wenn wir diese Müttertypen durch Bartträger austauschten? Wenn wir diese Einteilung auf die Väter münzten? Ich sag’s euch, da kämen so furchtbare Eigenschaften heraus, wie: engagiert, liebevoll, multi-tasking, cool, empathisch, fürsorglich, organisiert…. Also:
Ein Hoch auf uns Mütter!